Tapestry

Wir sind am Zug und können genau aus zwei Möglichkeiten auswählen. Setzen wir unseren Marker auf einer Leiste ein bzw. vor? Oder starten wir in eine neue Ära? Hört sich simpel an. Ist es auch – was die Regeln anbelangt. Um unsere Zivilisation um Erfolg zu führen, müssen wir aber jeden noch so winzigen Zug sehr gut überdenken.

„Tapestry“ macht es uns als Zivilisationsspiel natürlich zur Aufgabe, vom ersten kleinen Dorf bis zur Raumfahrt eine Entwicklungsgeschichte zu absolvieren. Dabei können wir wählen, ob wir eher kriegerisch unterwegs sind, ob wir auf Wissenschaft setzen oder ob wir uns schnell auf unserem Bautableau ausbreiten. Der Spielplan ist umgeben von vier Leisten, die jeweils eine andere Art der Entwicklung ermöglichen. Wir setzen Marker ein, je weiter wir fortschreiten, umso mächtiger – aber auch kostspieliger – sind die Aktionen. In der Mitte des Bretts rangeln wir um verschiedene Geländefelder, die Siegpunkte bringen.

Zu Beginn verfügt jeder Spieler über ein Einkommenstableau, welches oben in drei Kategorien mit kleinen Häusern versehen ist. Wie man es aus Spielen wie zum Beispiel Terra Mystica kennt, tun sich unter verbauten Häusern neue Möglichkeiten auf bzw. finden sich dort zum Rundenende wertvolle Siegpunkte oder schlicht Einkommen. Die Häuser werden auf dem Geländetableau verbaut, das für jeden Spieler unterschiedlich ist, zur Hauptstadt verbaut. Dort sind bereits Felder rot hinterlegt, die als bereits bebaut gelten. Als zusätzlicher Kniff darf jeder Spieler zu Beginn aus zwei Zivilisationen eine wählen, die unterschiedliche Vorteile bringen.

Zurück zur Kernentscheidung – Fortschritt oder neue Ära? Eine neue Ära einzuläuten, ist grundsätzlich immer möglich. Der Spieler handelt dann die Boni auf dem Einkommenstableau ab und darf sich eine Gobelinkarte nehmen. Von diesen Gobelins ist auch der etwas merkwürdige Titel „Tapestry“ abgeleitet. Diese Gobelinkarten gewähren temporäre oder Dauereffekte, die durchaus sehr mächtig sein können, wenn man sie als erster der Spielergruppe einstreicht. So können zum Beispiel Ressourcen-Boni dabei rausspringen. Es kann also ein gewichtiger Vorteil sein, das Äraende nicht herauszuzögern, sondern einzuläuten, obwohl eventuell noch ein Sprung auf einer der Fortschrittsleisten möglich wäre. Besitzt der Spieler Technologiekarten, darf er diese nun aufwerten. Dieses abwägen, ob man weiter forschen will oder eine neue Ära einläutet, macht einen Großteil des Reizes aus und aus „Tapestry“ einen ansehnlichen Vertreter seines Genres. Eine Ära endet übrigens automatisch und erzwungen, wenn ein Spieler keine Ressourcen mehr hat, um weiter auf der Leiste vorzurücken.

Wer weiterspielt, zieht auf einer der Fortschrittsleisten Militär, Wissenschaft, Technologie oder Entdeckung voran. Nach mehreren Runden mussten wir feststellen, dass es scheinbar ein klein wenig lohnender ist, die Entdeckungsleiste bis zum Ende auszureizen. Hier winken Weltraumplättchen, die uns sehr mächtig erschienen. Letztlich sollte aber jeder nach seinem Gusto spielen und wer lieber in den anderen drei Optionen unterwegs ist, der kann auch hier durchaus erfolgreich sein. Auf der blauen Entdeckungsleiste jedenfalls winken unter Anderem neue Gebietsplättchen, auf der gelben Leiste gibt es die wertvollen Technologiekarten und deren Aufwertung zu erstehen. Die grüne Wissenschaft ermöglicht es vor allem, mit Hilfe von Würfeln von Boni der anderen Leisten zu profitieren und wer auf die rote Militärleiste setzt, der kann seinen Nachbarn in der Mitte des Spielplanes besser in die Suppe spucken und so wertvolle Siegpunkte klauen. Außerdem gibt es für erfolgreiche Eroberungen, die sich im übrigen vom anvisierten Opfer durch spezielle Gobelinkarten auch abwehren lassen, für den siegreichen Feldherren auch Belohnungen in Form von Ressourcen.

Die einzelnen Monumente kann nur der erste Spieler bauen, der eine Markierung auf den Fortschrittsleisten überschreitet. Sie sind unglaublich liebevoll gestaltet und echte Hingucker.

Auch wenn es verlockend ist, in einer Leiste zügig das Ende zu erreichen, empfiehlt es sich doch, überall ein wenig mitzumischen. Ohne Technologiekarten gerät man schnell ins Hintertreffen, und wer keine Gebäudekarten hat oder keine Häuser baut, der kann sich weder ausbreiten noch auf der Einkommensleiste wertovlle Boni freischalten. Und vor allem keines der mächtigen Gebäude bauen. Denn alle drei Schritte auf der Leiste wartet ein solcher Klops auf neue Besitzer. Nur der erste Spieler, der die Linie überschreitet, darf diese unfassbar ansprechend gestalteten Gebäude in Besitz nehmen und auf sein Geländebtableau stellen. Dort überdecken diese eine Menge freier Felder, was in der Abrechnung am Ende einer Ära satte Boni und – schafft man es eine Reihe oder Spalte zu vervollständigen – am Ende des Spiels Siegpunkte bringt.

Am Ende von Ära 4 wird die Einkommensausschüttung noch einmal in Teilen ausgeführt. Danach endet das Spiel. Jeder Spieler sollte dann im Idealfall auf verschiedenen Wegen eine Reihe von Siegpunkten gesammelt haben. Und hier gelingt „Tapestry“ etwas, woran andere Spiele häufig scheitern. Es bietet eine riesige Auswahl von Möglichkeiten, ohne den Spieler völlig damit zu erschlagen. Oft ist es nur ein Wimpernschlag, der von Erfolg und Mißerfolg trennt. Wage ich mich nur einen Zug zu spät in die neue Ära, dann hat mein Kontrahent mir vielleicht schon den Bonus weggeschnappt. Nehme ich die Aufwertung der Technologiekarte doch nicht mit, tut es mir vielleicht leid, weil ich mir so unnötig Steine in den Weg lege. Und richtig schmerzhaft wird es, wenn in der Endabrechnung auf meinem Gebäudetableau in der Reihe lediglich ein Feld unbesetzt und diese damit unerheblich für die Endwertung ist.

Die Spielmechanik wirkt wie aus einem Guss, führt aber leider auch zu Problemen. Es ist reizvoll, dass das Spiel nicht simultan abläuft. Während die einen noch planen, haben die anderen bereits ihre Ära beendet. Und das führt zu Downtime. Im Drei-Personen-Spiel fällt das weniger ins Gewicht, aber bei vier Personen kann das schon mal nervig werden. Fairerweise sei aber auch erwähnt, dass bei steigender Routine die Züge flotter von der Hand gehen und die Downtime kürzer wird. Hat man aber einen ausgemachten Grübler am Tisch, sollte man sich darauf einstellen. Zweites kleines Manko – einige Zivilisationen kamen uns im Vergleich zu anderen stärker vor. Es gibt extra für die ersten Spiele empfohlene Einsteigerkarten, und Neulinge sollten sind unbedingt daran halten. Letztlich macht es schon Spaß, alle Zivilisationen auszutesten, auch wenn hier ein klein wenig mehr Balancing schön gewesen wäre.

Nur wer fleißig Häuschen baut, kommt auf seiner Einkommensleiste voran. Ist die Reihe am Ende voll, winken zusätzliche Siegpunkte.

Die zweite große Stärke ist die Optik. Ich bin ja kein Freund davon, Spiele ausschließlich nach ihrem Material zu beurteilen. Zuweilen kommt da aber ein Vertreter daher, da staunt man einfach. Ich habe „Tapestry“ leider nicht selbst auspacken dürfen, und finde das persönlich sehr schade. Beim ersten Blick auf das ausgewählte Gesamtkunstwerk konnte ich nicht anders als laut meine Begeisterung kund zu tun. Allein die Sondergebäude, die man über die Fortschrittsleisten erreichen kann, sind ein Augenschmaus. Alles passt, das Spiel ist schlicht eine Schönheit. Und auch die Regeln sind absolut verständlich, alles ist in Ikonographie selbst erklärend und wir waren nicht ein einziges Mal verwirrt, was zu tun ist bzw. wie etwas zu verstehen ist. So muss das sein! Einige Kritiker sprechen „Tapestry“ wegen der schlanken Regeln und beschränkten Möglichkeiten ab, überhaupt ein Zivilisationsspiel zu sein. Das kann ich nicht nachvollziehen, weil es sich trotz minimaler Möglichkeiten aber genauso anfühlt. Der Flow greift, und letztlich geht es ja genau darum, den richtigen Zeitpunkt für die nächste Ära auszumachen. Nur dass das eben nicht automatisch von Statten geht, sondern gewichtiges taktisches Element ist.

„Tapestry“ von Jamey Stegmaier (Stonemaier Games)

Feuerland

für 1 bis 5 Spieler

Dauer: Circa 120 Minuten

Preis: Circa 70 Euro