Der Sonnenobelisk thront über dem Spielfeld. In seinem Schatten liegen Würfel mit den Augenzahlen 1 bis 6 verstreut. In Verlauf von „Tekhenu“ werden wir insgesamt 16 davon nutzen. Dabei fällt die Auswahl meist schwer, denn wie so oft hat man dabei die Qual der Wahl aus einer Vielzahl von Aktionsmöglichkeiten.
„Tekhenu“ ist unübersehbar das neueste Grübelfutter von Daniele Tascini. Wieder sind wir auf einem äußerst opulenten Spielplan im Zeitalter vergangener Kulturen unterwegs. Die ägyptischen Gottheiten wollen verehrt werden. Wir bauen Statuen, errichten Gebäude an Tempelanlagen und sorgen dafür, dass unsere Bevölkerung wächst und gedeiht und das möglichst fröhlich. Denn neben Papyrus, Stein und Brot ist Happyness tatsächlich ein Handelsgut. Denn ohne die entsprechende Fröhlichkeit können weder Gebäude gebaut noch Technologien erforscht werden. Je besser meine Mannen gelaunt sind, desto höher wertige Technologien kann ich kaufen.
„Tekhenu“ ist ein Dice-Placement-Spiel. Nur würfeln wir nicht selbst, sondern müssen mit dem leben, was am Anfang jeder zweiten Runde ausgewürfelt wird. Oder aber überhaupt verfügbar ist. Denn exakt jede zweite Runde wird der Obelisk gedreht und einige Würfel, die es in fünf unterschiedlichen Farben gibt, wandern in den Schatten, in den Halbschatten oder in die Sonne – je nach Farbe, die sie haben. Dadurch kann es passieren, dass sie für diese Runde gar nicht mehr nutzbar, weil verboten sind. Andere Würfel liegen im reinen oder im verdorbenen Bereich. Sie dürfen eingesetzt werden, landen aber jeweils am Ende auf einer Waage auf dem Spielertableau. Je ausgeglichener die Augenzahl hier am Ende zwischen reiner und verdorbener Seite ist, umso höher die Chance, Startspieler zu werden. Und das bringt in „Tekhenu“ handfeste Vorteile mit sich. Alle vier Runden wird der Startspieler neu bestimmt, dann sollten die vier verwendeten Würfel möglichst ausgeglichen verteilt sein. Hilfreich sind dabei Glaubensmarker, die als Ausgleich auf die Waage gelegt werden können. Und auch überproduzierte Rohstoffe können helfen, die Schalen ins Lot zu bringen.
Die Möglichkeiten sind unglaublich vielfältig und variabel. Wie man es von Tascini kennt, ist alles sehr clever verzahnt. Am Anfang des Spieles zieht man Dekrete, die einen ungefähren Weg vorgeben, welche der Götteraktionen man anstreben sollte. Lieber auf Siegpunkte durch Säulen und Gebäude auf dem Tempelgelände setzen? Oder doch besser Technologien erforschen, die einem das Leben im Spiel erleichtern? Oder aber Skulpturen für die Götter bauen? Wer mag, kann auch die Rohstoffproduktion hochschrauben und hier seine Punkte machen. Die einzelnen Aktionen sind je einem von sechs Göttern zugeordnet, dazu kommt noch die so genannte „Anubis-Aktion“, für die man Schreiber – eine weitere Ware – ausgeben muss. Diese erlauben einem, einen beliebigen Würfel, auch aus dem verbotenen Bereich, für eine beliebige Aktion zu nutzen. So kann man sich eine Augenzahl schnappen, die im gewählten Bereich nicht mehr vorhanden ist. Obendrein zählen diese für Anubis-Aktionen genutzten Würfel nicht für die Waage, was mal von Vorteil, mal aber auch von Nachteil sein kann.
Überhaupt purzeln ständig irgendwo Siegpunkte, wenn man clever spielt und auf die richtige Taktik setzt. Hier für eine Säule im Tempel, da für eine Technologie. Einmal in der Mitte und dann am Ende des Spiels kommt es zu einer Abrechnung. Und trotzdem kann es passieren, dass einer am Ende das Feld von hinten aufrollt. Und genau hier liegt auch die große Schwäche eines ansonsten wunderbaren Spielflows. Es gibt Dekrete, die schlicht besser sind als andere. Bekommt einer direkt am Anfang genau dieses Dekret auf die Hand und kann er zufällig noch dazu eine passende Technologie kaufen, dann kommt eine Siegpunktemaschinerie in Gang, die kaum aufzuhalten ist. So kam es in einer Runde dazu, dass ein Mitspieler allein durch die Kombination von Dekret und Technologie in Summe über 40 Punkte in der Endabrechnung eingefahren hat – alle weiteren Möglichkeiten noch nicht einmal eingerechnet. Hier bedarf es schon einer erheblichen Frusttoleranz der Mitstreiter, dann nicht aufzugeben und das Spiel abzuhaken.
Das wäre sehr schade, denn es macht einfach Spaß, zu versuchen aus den Gegebenheiten das beste zu machen. Denn es kann durchaus sein, dass die Würfel mal so gar nicht fallen, wie man es braucht. Immer in jeder zweiten Runde wird eine Handvoll Würfel nachgewürfelt, der Rest bleibt bestehen. So liegt das Spiel in einem angenehmen Bereich zwischen planbarem Vorgehen und Glücksfaktor. Wer allerdings keine Lust hat, bereits vier Züge im voraus zu berechnen, wie der ein oder andere Würfel dann wohl verfügbar sein mag, der wird an „Tekhenu“ keinen Spaß haben. Ich zähle normalerweise nicht zu den Grüblern und spiele lieber intuitiv. Hier hab ich mich aber schon häufiger erwischt, wie ich mich bei meinen Mitspielern entschuldigt habe, weil ich mich so gar nicht zu einem Zug durchdringen konnte. Zu verlockend ist es dann doch, die anderen Möglichkeiten noch abzuwägen und gedanklich durchzuspielen.
Leichte Kritik ist an den Runden-Startboni zu üben. Diese werden alle vier Runden neu vergeben, allerdings sind drei Boni dem vierten gegenüber absolut übermächtig, so dass das vierte Kärtchen in Dreierpartien regelmäßig liegen blieb. Etwas mehr Auswahl wäre hier schön gewesen. Optisch und in der Handhabung hingegen gibt es nichts zu meckern. Das Spiel ist eine absolute Augenweide. Und auch bei den Spielerfarben ist man neue Wege gegangen. Ob man nun zartrosa, lila und babyblau schön findet, liegt im Auge des Betrachters. Mir gefällt die ungewöhnliche und im Gesamtbild stimmige Farbgebung. Schludrigkeiten gibt es aber in der Anleitung, hier stimmt zuweilen etwas nicht mit den Symbolen auf dem Spielbrett überein oder aber die ein oder andere Karte ist leicht zweideutig zu verstehen. In einer neuen Auflage sollte hier dringend noch nachgebessert werden. Die Spielzeit hält sich trotz der zweifelsohne hohen Komplexität in Grenzen, selbst mit Grüblern am Tisch überschreitet man kaum die zwei Stunden. Gut so, denn nach der Partie hat man das ganz dringende Bedürfnis, direkt noch einmal loszulegen und das eigene Vorgehen zu optimieren.
„Tekhenu“ von Daniele Tascini und David Turzi
Giant Roc
Für 1 bis 4 Spieler
Dauer: circa 90 – 120 Minuten
Preis: circa 55 Euro