Bier Pioniere

Mein Lager platzt aus allen Nähten. Fass an Fass steht aufgereiht parat, um darin Lager, Pils oder Export zu füllen und an den Mann oder die Frau zu bringen. Und jetzt muss ich doch tatsächlich noch weiter drehen und mein Starkbier wird auch fertig – zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Nun frage ich mich, welche Plörre ich in den Ausguss kippe, um das gute Starkbier zu lagern. Denn verkaufe ich das am Ende des Tages, dann bringt es mir richtig Siegpunkte. Und wer derer als erster 20 erreicht hat, der hat die besten Chancen, der erfolgreichste „Bier Pionier“ zu sein.

Das Spiel mit dem zugegeben etwas sperrigen Titel ist ein reinrassiges Worker-Placement-Spiel. Meine Arbeiter sind kostbar, und wenn ich einen eingesetzt habe, nehme ich anderen womöglich den begehrten Platz weg. Und dann gibt es da noch den LKW, der mein sorgsam gebrautes Bier auf dem Markt wirft. Oder aber Tauschhandel möglich macht. Überhaupt ist „Bier Pioniere“ einer dieser Titel, in denen man am liebsten alles machen möchte und gefühlt gar nichts kann. Der Schwierigkeitsgrad rangiert hier sicher im Level Kenner-, wenn nicht sogar Expertenspiel. Es braucht seine Zeit, bis man verinnerlicht hat, welche Aktionen jetzt die wertvollsten sind und wie man es überhaupt schafft, das Bier optimal in die Fässer zu bekommen.

Unsere Brauerei ist noch recht mickrig. Gerade mal Altbier können wir brauen und lediglich ein Fass steht in unserem Keller bereit.

Dabei fühlt sich „Bier Pioniere“ sehr thematisch an. Wir managen unsere eigene kleine Brauerei und können wahlweise auf viele verschiedene Marken setzen und uns spezialisieren. Was idealer ist, hängt von Karten ab, die wir im Lauf des Spiels erwerben. Dabei können wir nur bescheiden beginnen, aber bei geschicktem Vorgehen schnell unsere Möglichkeiten dank moderner Maschinen und Technologien wie Kältemaschine oder Bierfilter verbessern. Und dabei sollten wir tunlichst versuchen, die Konkurrenz abzuhängen. Das schaffen wir, indem wir ihnen mit unserem Arbeitern, die jeweils mit einer Nummer versehen sind, gute Aktionsfelder wegschnappen. Denn der erste, der in der Mehrheit der Felder einsetzt, hat immer eine stärkere Aktion zur Verfügung. Die Arbeiter lassen sich im Verlauf des Spiels befördern, was ihnen eine höhere Nummer bringt. Da jede Aktion einen Wert hat, die mit dem Wert des Arbeiters addiert wird, lohnt sich das in jedem Fall. Zumal wir mit einem bestimmten Gesamtwert immer auch Zugang zu einer Bonusaktion haben, und auch diese wird im Lauf des Spiel mächtiger. Ergo – es gibt zig Stellschrauben, an denen sich verbessern und optimieren lässt. So kann man auch einen Arbeiter dauerhaft opfern, dafür aber das Brauen, dass durch das Drehen an einem Aktionsrad symoblisiert wird, für den Rest des Spiels verbessern.

Es gibt eine Reihe von Aktionen, aus denen die momentan effektivste ausgewählt werden muss. Sofern sie denn noch frei ist.

Wir erhalten im Lauf des Spiels Karten und auch hier sind gute Entscheidungen gefragt. Denn wir können diese einerseits als Gehilfen anstellen und und so Permanenteffekte sichern, wir können ihren zumeist mächtigen Einmaleffekt nutzen oder sie verwenden, um mit ihnen das Bier zu verkaufen. Letztlich geht es bei allem immer um Siegpunkte durch möglichst hochpreisigen Bierverkauf. Gut ist es, früh eine Karte zu haben, die einem ein wenig die Marschrichtung vorgibt. Wer zum Beispiel das zu Anfang noch nicht verfügbare Starkbier teuer verkaufen kann, der sollte sich tunlichst daran machen, diese Fähigkeit freizuspielen und das Starkbier auf den Markt zu werfen. Genauso gut kann es aber auch viele Siegpunkte bringen, das vermeintlich billige Altbier in Massen und die Leute zu bringen. Es gibt keinen Königsweg, durch die Varianz in den Karten fühlen sich die Partien immer anders an. Gleich ist allen, dass wir uns auf einem hemmungslosen Wettlauf befinden. Wer zuerst 20 Siegpunkte hat, läutet das Ende ein. Jeder ist noch einmal dran und der mit den meisten Punkten gewinnt. Die Idee bietet übrigens eine gute Möglichkeit zur Varianz – wem eine Runde zu lang ist, der kann getrost die Messlatte an Punkten ein wenig niedriger legen.

Während grün und weiß noch mit wenig Einkommen auskommen müssen, darf rot sich bereits über zwei Münzen freuen.

„Bier Pioniere“ ist ein atmosphärisches Spiel. Es transportiert herrlich den Charme einer historischen Brauerei, auch durch die Aktionen und Karten. Das Artwork ist sehr gelungen und der Flow im Spiel stimmt. Es dauert etwas, bis man die doch recht umfangreichen Regeln verinnerlicht hat, hier macht die Anleitung aber einen guten Job. Fragen bleiben nicht offen. Die Idee, die Arbeiter zu befördern, was natürlich auch eine der wertvollen Aktionen kostet, ist ein feiner Schliff. Dabei ist keine der Mechaniken von sich aus revolutionär anders, aber alles greift stimmig ineinander und es fühlt sich sehr belohnend an, wenn man in einer gelungenen Runde seine Fässer für reichlich Siegpunkte auf den Markt hieven darf.

Mit „Bier Boom“ steht eine Erweiterung in den Startlöchern, die wir auch bereits testen durften. Fünf Module unterschiedlicher Komplexität bringen Abwechslung herein. So kann man zum Beispiel seine eigene Hausmarke brauen. Jedes Modul wird ausführlich erklärt und die Eisenbahn bringt uns ganz neue Möglichkeiten, unser Bier auf dem Markt zu verteilen. Alles in allem kleine und feine Erweiterungen, die vergleichbar sind mit den Modulen, die seinerzeit das Grundspiel von „Die Tavernen im Tiefen Thal“ erweitert haben. Ganz ähnlich wie dort auch gibt es komplexe und weniger komplexe Varianten und jede Gruppe sollte für sich herausfinden, ob und mit welchem Modul das Spiel am meisten Spaß macht. Kombinieren lässt sich letztlich alles und es liegt nun auch ein Solomodus bei, den ich allerdings noch nicht testen konnte.

„Bier Pioniere“ ist auch was für Weintrinker, zumindest haben die zwei Weinfreunde in meiner Runde Spaß an der Sache gehabt. Und ich als Freundin eines leckeren Pils sowieso. „Bier Pioniere“ ist eins dieser Spiele, die einen schnell in ihren Bann ziehen, auch wenn es sich erstmal nach sehr viel anfühlt. Das verschwindet aber ganz schnell, unsere zweite Partie ging uns bereits erheblich flotter von der Hand und es macht einfach Spaß, wenn man sich darauf einlässt, seine eigene Produktion zu optimieren und auch damit leben kann, dass einem die Konkurrenz schonmal die Butter vom Brot bzw. die Schaumkrone vom Bier klaut.

„Bier Pioniere“ von Thomas Spitzer
Spielefaibe
Für 2 bis 4 Spieler (mit Erweiterung 1 bis 5)
Dauer: circa 90 Minuten
Preis: circa 60 Euro