Die Pranken des Löwen

Der Axtmeister schaut konzentriert in die Runde. Zwei Fanatiker stellen sich ihm in den Weg. Bevor es zu knapp wird, schmeißt sich der Rotgardist vor den Axtwerfer und zückt sein Schild. Rettung in letzter Sekunde. Die Leerenhüterin heilt den Axtwerfer – ein leichter Gifthauch umweht von nun an unseren Helden. Aber immer noch besser, als beim nächsten Angriff ins Gras zu beißen. Inzwischen hat die Sprengmeisterin sich in Position gebracht und schmettert einen Fanatiker mit Wucht gegen die Wand. Das Ende für den Übeltäter, und unser Überleben scheint gesichert. Scheint…

Denn wie schon im großen Bruder „Gloomhaven“ sollte man sich auch bei „Die Pranken des Löwen“ nie zu sicher sein. Jedes Szenario ist eine enge Kiste, aber es lohnt sich. Beute, Erfolge, Belohnungen – die bekannte Suchtspirale greift wie in dem bekannten dicken Brecher von einem Dungeon Crawler. Und räumen wir mal direkt den Elefanten aus dem Raum, ob es überhaupt ein „Gloomhaven light“ braucht. Denn erstens ist es das gar nicht und zweitens lautet die Antwort unbedingt „Ja“!

Gar nicht so leicht, ein Szenenfoto ohne Spoiler zu bringen. Denn man sollte tunlichst selbst erleben, wie die Geschichte sich entwickelt.

Details zu „Gloomhaven“ sind im Test auf dieser Seite nachzulesen, das zu wiederholen spare ich mir. Vielmehr interessiert hier die Frage, was die Pranken des Löwen besser und was schlechter macht. Dazu ist wichtig zu wissen, dass mein Test mit einer Viergruppe – also in Maximalbesetzung – erfolgte. Zwei der Gruppenmitglieder kennen „Gloomhaven“, zwei sind komplette Neulinge. Ein interessanter Mix, der ebenso interessante Rückmeldungen mit sich bringt. Ich für meinen Teil war überrascht, wie gut mir die entschlackte Version gefallen hat. Relativ schnell aufgebaut, da man die Szenarien direkt im Buch spielt, Ein Tutorial, das geschmeidig in die verschiedenen Mechaniken einführt und ein Flow, der sich genauso wie beim Original umgehend einstellt. Man will das Szenario schaffen, man will seinen Charakter verbessern und man will – und hier kommt ein großer Pluspunkt – unbedingt erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Eben durch das komplexere Spiel ist die Immersion bei mir deutlich höher. Und auch mein Kompagnon mit „Gloomhaven“-Erfahrung ist angetan, aber nicht ganz so begeistert wie ich. Für ihn rangiert das Original weiter vorne, ich hingegen würde jederzeit eher zur überschaubareren Variante greifen.

Oh Gott was mache ich nur? Alte Hasen kennen das Dilemma. Fähigkeiten wollen wohl ausgewählt und weise genutzt werden – denn die Anzahl der Karten ist endlich und Fehlentscheidungen werden auch in „Die Pranken des Löwen“ unerbittlich bestraft.

Die Sorgen und Gedanken unserer zwei Mitstreiter sind da ganz anderer Art. Die Karten managen? Welche Fähigkeiten nutze ich? Wann ist ein guter Zeitpunkt für eine Rast? Und warum zu Hölle sind wir auf einmal alle tot? – Ja, sie müssen sich noch einfinden in die Welt von „Gloomhaven“ und bereits einer hat signalisiert, dass ihm „Die Pranken des Löwen“ gerade aufwändig genug ist und er noch mehr Komplexität jetzt nicht unbedingt bräuchte. Spaß macht es aber beiden, wenn man erst einmal akzeptiert hat, dass es Abende gibt, an denen es einfach nicht läuft. Als unser Rotgardist trotz mehrerer Segen im Deck und Stärkung zweimal das sicher tot geglaubte Ziel verfehlte, das hat verdeutlicht, was „Die Pranken des Löwen“ ist – nämlich genau keine familientaugliche Einsteigerversion eines Dungeon Crawlers, sondern einfach eine andere, aber genauso bockschwere Art, die Welt vom „Gloomhaven“ zu erleben. Die neuen Charaktere spielen sich gut, ergänzen sich und bieten jeweils interessante Taktiken.

Alles ist etwas reduziert, auch die Charakterauswahl. Hier kommt mein einziger relevanter Minuspunkt. Der Reiz von „Gloomhaven“ liegt auch darin, neue Charaktere kennen zu lernen und zu spielen. Auch ganz neu zu entdecken, als Belohnung für Geleistetes. Das fehlt hier. Tatsächlich ist einmal durchgespielt auch genug, auch wenn es theoretisch auch hier die Möglichkeit gibt, Orte noch zu entdecken, die während der Kampagne aufgrund von Entscheidungen nicht mehr zugänglich waren. Wer sich dessen bewusst ist, der erhält ein erstklassiges, fesselndes Abenteuer. Für erfahrene Hasen mögen die fünf Tutorialmissionen nicht unbedingt nötig sein, für Neulinge aber sind sie Gold wert. Zumindest in unserer Gruppe war es gut, dass die Lernkurve zwar erkennbar, aber nicht zu steil angestiegen ist. Anhand des extrem gut geschriebenen Leitfadens, der einen wirklich Schritt für Schritt anleitet, können auch Einsteiger problemlos ihre ersten Abenteuer in „Die Pranken des Löwen“ bewältigen.

Gloomhaven – Die Pranken des Löwen von Isaac Childres

Feuerland

für 1 – 4 Spieler

Dauer: variabel

Preis: Circa 55 Euro