Die rote Kathedrale

Zugegeben, man ist im gängigen Kennerspiel genauso häufig ein Baumeister wie diese tragende Rollen in historischen Romanen spielen. Das Thema ist nicht neu, geht aber irgendwie immer. Und diesmal zimmern wir keine mittelalterliche Kirche in die Höhe, sondern stehen in Diensten des Zaren und müssen für diesen eine prächtige Kathedrale errichten. Und wie es eben so ist im Leben – die Ressourcen sind knapp und die böse Konkurrenz gönnt einem nicht das Schwarze unterm Fingernagel.

Ja, es kommt unscheinbar daher, das Kennerspiel aus dem Hause Kosmos, das sich als Familienspiel verkleidet hat. Kleine Packung, durchaus überschaubare Regeln und hübsches Material wiegen uns erstmal in Sicherheit. Ok, als erster sechs Bauteile einer Kathedrale vollenden, wie schwer kann das schon sein? Verdammt schwer! Und zwar deswegen, weil unsere Gegner das auch wollen und das Spiel einen Mechanismus einfügt, den zumindest ich vorher so noch nicht gesehen habe: Ein Ressourcenmanagement, dass punktgenaues Planen belohnt und schnödes Bunkern von Material abstraft.

Uns stehen in unserer Runde drei Aktionen zur Auswahl. Wir können auf dem Hauptplan mit einem Würfel laufen, und zwar genau so weit, wie es uns die Augenzahl erlaubt. Auch hier ein innovativer Ansatz: Zeigt der Würfel zwei Augen, ziehe ich diesen zwei Augen weiter und führe die Aktion auf dem Feld aus. Und zwar genau so oft, wie Würfel auf dem Feld liegen. Denn bereits vorher können dort welche gelandet sein. Wer also klug läuft, kann in einem Zug ganz schön was einheimsen. Danach würfel ich alle Würfel auf dem Feld neu. Auf dem Feld gibt es zum einen Ressourcen – ganz klassisch Holz oder Ziegel, aber auch Rubel oder Edelsteine, die zum Bau oder für die Verzierungen benötigt werden. Zum anderen gibt es Sonderaktionen auf Karten. Dort lassen sich zum Beispiel Rohstoffe tauschen. Wichtig: Die Würfel haben unterschiedliche Farben. Ziehen wir den weißen Würfel oder den unserer Spielerfarbe, dürfen wir den Wurf ein wenig beeinflussen.

Der grüne Würfel erlaubt und sechs Schritte. Und mit ihm würden wir dann auf dem Feld mit dem gelben unn roten Würfel landen. Dafür gibt es dann satte sechs Steine in unser Lager. Nur reicht der Platz dafür?

Als zweite Aktion können wir ein Bauteil beanspruchen. Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass wir auf einem von Spiel zu Spiel variierenden Plan der Kathedrale, die aus mehreren unterschiedlich hohen Türmen mit Tür, Fenstern und Dach besteht, einzelne Bauabschnitte mit unserer Farbe markieren. Beanspruchen wir ein Bauteil, erhalten wir aufgelegte Plättchen, mit denen wir – sofern wir es bezahlen können – Boni auf unserem Tableau freischalten. So erhalten wir zum Beispiel immer dann ein Holz, wenn der grüne Würfel zieht. oder ein Juwel, wenn ein roter Würfel zieht. Haben wir das getan, können nur wir dieses Teil später bauen. Schöner Nebeneffekt: Beanspruchen wir ein Bauteil, benötigen wir dafür einen farbigen Marker, der dann auf unseren Tableau einen weiteren Lagerplatz freigibt. Und als Drittes liefern wir Material aus. Das ist bitter nötig, denn auf unserem Spielertableau können wir nur begrenzt Material lagern. Ist der Platz zu knapp, verfällt erworbenes Material und das ist extrem ärgerlich. Maximal drei Rohstoffe können wir liefern, wohin wir wollen. Entweder alles auf ein Bauteil, oder wir verteilen es, oder wir bauen eine Verzierung. Haben wir für ein Bauteil ausreichend Material geliefert, ist es gebaut und wird umgedreht. Das bringt wertvolle Baupunkte.

Die Spieler vollenenden auf einem Turm möglichst viele Bauteile, um eine Mehrheit zu erhalten. Verzierungen können dazu beitragen, diese Mehrheiten wieder zu verschieben.

Soweit, so einfach. Es gibt aber eine Unmenge zu beachten. Zum einen weiß man nie, welche Würfel noch wirklich liegen, ist man am Zug. Planen ist da fast unmöglich und man muss sich ständig auf neue Situationen einstellen. Auch dass man weitere Würfelfarben durch die Bonusplättchen für sich selbst aufwerten kann, ist ein besonderer Clou. Und beim Bau ist es längst nicht damit getan, einfach Plätze zu blockieren und zu bauen. Denn einen Bauplatz darf man nur pro Turm der Reihe nach von unten nach oben beanspruchen. Bauen darf man aber immer dort, wo die eigene Farbe liegt. Schafft man es, ein Bauteil zu vollenden, während die Spieler unten noch nicht so weit sind, schlägt der Zorn des Zaren zu und alle faulen Bauherren erhalten Strafe in Form von Siegpunkteabzug je Bauteil über Ihnen. Das ist ein gutes Stück an Taktik zu überlegen, ob man auf Nummer sicher geht und schnell baut oder den Bau rauszögert und Gefahr läuft, dass jemand die oberen Stockwerke schneller vollendet. Dazu kommen die Verzierungen. Jeder Spieler hat eine begrenzte Zahl, die er auf eigenen oder fremden Bauteilen als Tür, Fenster oder Dachkreuz einfügen kann. Dafür gibt es zum einen direkt Ruhmpunkte, gibt man zusätzlich Juwelen ab. Noch wichtiger ist aber, dass diese Verzierungen in die Endwertung einfließen. Denn die meisten Punkte erhält der, der am Ende die meisten Bauteile – Verzierungen inklusive – pro Turm beigesteuert wird. Je höher der Turm, umso mehr Punkte gibt es. Auch hier wieder die Entscheidung von Beginn an. Baue ich eher in den kleinen Türmen, oder versuche ich, um die Mehrheit in einem großen Turm mitzurangeln?

„Die rote Kathedrale“ schafft eine sehr gute Balance zwischen Puzzlen am eigenen Kathedralenbau und der Notwendigkeit, den Gegnern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wer nur stumpf auf seine Pläne schaut, erlebt eventuell eine böse Überraschung. Immer die Gegner im Blick haben ist der Schlüssel zum Sieg. Die innovativen Mechaniken habe ich bereits gelobt, aber es ist noch herauszuheben, wie fantastisch sie ineinander greifen. Ist man in den ersten Partien ewtas erschlagen oder ratlos ob der Möglichkeiten, entfaltet das Spiel in späteren Partien eine unglaublich Eleganz. Alles ist durchdacht, aber eben nicht planbar. Der Würfelwurf aller Würfel auf einem Feld, sobald ein weiterer Würfel dorthin bewegt wurde, kann den eigenen Plan gehörig aus den Angeln heben. Die rote Kathedrale ist etwas für flexible Spieler. Oder eben für Bauchspieler, wie ich einer bin. Kleiner Nachteil: Der Grübler am Tisch wird dann immer erst in seinem eigenen Zug anfangen, seine Pläne abschließend zu durchdenken.

„Die rote Kathedrale“ von Shei S. und Isra C
Kosmos
Für 1 bis 4 Spieler
Dauer: Circa 75 Minuten
Preis: Circa 23 Euro