Everdell

Wenn Spiele mit besonders hübschem Material protzen, dann ist das häufig zwar nett anzusehen, spielerisch hat man dann aber zuweilen ein Leichtgewicht auf dem Tisch. Einen Blender. Und so hatte ich ein wenig Angst, dass Everdell in eben jene Kategorie fällt, seit ich 2019 bei der Spielemesse in Essen (die Älteren von uns erinnern sich vielleicht an Spielemessen) darum herum geschlichen bin. Gut, im Internet gab es begeisterte Kommentare zu Hauf, aber auch da wäre es nicht das erste Mal, dass der Hypetrain ohne mich den Bahnhof verlässt. Und zu guter Letzt neigt man dazu, etwas so Angepriesenes ein Stück weit noch kritischer zu betrachten. Wer einen Fehler finden will, der findet ihn auch.

Gefunden hab ich hier auch einen, genau einen. Dem Spiel liegt kein Wertungsblock bei. Punkt. Das war es. Der Rest ist schlicht fantastisch. Zwar nicht einzigartig, denn die Mechanik ist Engine-Building und Worker-Placement at its best, aber eben genau deshalb so großartig, weil es wunderschön ist und sich in sein Thema schmiegt wie ein Baby in sein Bettchen.

Sehen Sie mir das Pathos nach, aber was James A. Wilson erdacht und Andrew Bosley illustriert hat, ist so dermaßen bezaubernd, dass auch mein 16-jähriger Sohn es gar nicht erwarten konnte, seine Stadt zu errichten. Denn genau das tun wir in Everdell – wir errichten eine Stadt. Genau genommen sind wir mit unserer Sippe aus Eichhörnchen, Igeln, Mäusen oder Schildkröten unterwegs, um aus Zweigen, Harz, Felsen und Beeren eine florierende Siedlung zu errichten. Und wie das so ist bei Auswanderern, sind die Mittel zu Beginn begrenzt. Sehr begrenzt. Wir haben genau zwei Arbeiter und null Rohstoffe, mit denen wir Gebäude errichten und Einwohner anlocken müssen. Da stellt sich bei der ersten Partie zu Recht die Frage – wie soll das überhaupt gehen? Aber je häufiger man in die Welt von Everdell versinkt, umso leichter fällt es, den Flow zu entwickeln und eine Maschinerie in Gang zu bringen.

Auf der Wiese liegen acht Karten, die ich ausspielen darf, sofern ich sie bezahlen kann.

Gebäude und Wesen sind auf Karten malerisch aufgezeichnet. Gebäude bringen Rohstoffe, Boni oder Extrazüge. Wesen ebenfalls. Alles greift ineinander. Habe ich zum Beispiel eine Farm, darf ich den Ehemann oder die Ehefrau kostenlos in meine Stadt holen. Sind sogar Ehemann und Ehefrau vereint, winken weitere Boni und sie nehmen zudem gemeinsam nur einen der auf 15 begrenzten Plätze in der Stadt weg.

Gebäude kosten Rohstoffe, generieren aber möglicherweise auch welche und erlauben es, Wesen umsonst zu bauen. Wesen kosten sonst Beeren, aber der Ladeninhaber zum Beispiel gibt einem beim Bau eines Wesens direkt eine Beere wieder zurück. Einige Gebäude und Wesen können abgerissen oder weggeschickt werden, um den Bau anderer Karten deutlich zu vergünstigen. Wer die acht Handkarten, bei denen das Limit liegt, klug verwaltet und rechtzeitig spielt, und wer zudem die Auslage aus acht Karten auf der Wiese immer im Blick behält, der schafft es durchaus, aus wenig Ressourcen und Manpower das Optimale rauszuholen. Häufig geht genau da noch was, wo man kein Land mehr gesehen hat. Genau diese Ketten sind es, die man aus Imperial Settlers kennt ohne dem unausgereiften Balancing der Völker ausgesetzt zu sein, das dieses Spiel leider negativ auszeichnet. Bei Everdell hat jeder die gleichen Karten zur Verfügung und die gleichen Chancen. Es gibt den Glücksfaktor wie immer, wenn eine Kartenauslage im Spiel ist. Aber das Argument lasse ich selten gelten, denn ist ein Spiel gut designed – und das ist Everdell zweifelsohne – gibt es immer einen Weg, auch scheinbar schlechte Auslagen zu seinen Gunsten zu nutzen.

Über allem thront der Immerbaum. Spielmechanisch hätte es ihn nicht gebraucht, aber dieser Hingucker macht das ohnehin schon wunderschöne Spiel noch ein Stück imposanter.

Das Spiel läuft über vier Jahreszeiten. Der Clou – jeder Spieler beendet diese individuell für sich. So kann ich durchaus noch im Frühling sein, während mein Kontrahent bereits den Sommer einläutet und so möglicherweise wertvolle besetzte Felder für mich räumt. Denn jeder Worker besetzt ein Ressourcenfeld oder ein Waldfeld mit besonderen Aktionsmöglichkeiten. Da ich derer maximal sechs im Rennen habe, muss ich ganz genau schauen, wo mein Igel oder meine Maus zur Schüppe greifen. Außerdem kann ich meine Tierchen noch auf Karten einsetzen oder aber Ereignisse abgreifen. Diese gehen an den ersten Spieler, der die Bedingung erfüllt. So gibt es einfache Ereignisse, die Siegpunkte einspielen. Zum Beispiel für den, der zuerst vier Produktionskarten in seiner Siedlung vorweisen kann. Oder besondere Ereignisse, die immer eine spezielle Kombination von zwei Karten voraus setzen. Diese bringen noch einmal mehr Siegpunkte oder Boni.

Dazu kommen in der Endabrechnung Karten die weitere Punkte bringen für gewöhnliche Wesen, einzigartige Wesen, gewöhnliche Gebäude oder einzigartige Gebäude. Da könnte am Ende leicht der Überblick verloren gehen. Hier wäre tatsächlich ein Block hilfreich gewesen. Keineswegs entscheidend aber hilfreich.

Nein, Everdell erfindet das Rad nicht neu. Es wirkt sogar in Teilen wie ein Klon von 7 Wonders, der auf das bereits zitierte Imperial Settlers trifft. Aber es verpackt die bekannten Mechanismen einfach so dermaßen gelungen, dass man einfach dahin schmelzen muss. Der großflächige Spielplan. Die liebevoll illustrierten Karten. Die Ressoucen, die sich in der Haptik deutlich unterscheiden. Harz ist glatt und hart, die Beeren sind irgendwie knuffig und kugeln über den Tisch, wenn man nicht aufpasst. Und über allem thront der Immerbaum. Es wäre ohne Frage auch ohne ihn gegangen, aber er ist ein Hingucker, ähnlich wie die Vogeltränke bei Flügelschlag. Er ist genau das, was ein Spielenerd aus der Packung holen möchte, um einfach das Stückchen mehr begeistert zu sein. Klar, wenn man den Baum einige Male auseinandergebaut hat – anders passt er natürlich nicht in die Packung – dann nutzt sich die Pappe ab. Wir jedenfalls lassen ihn aufgebaut im Regal neben der Schachtel stehen, solange noch Platz dafür ist. Und wenn ein Spiel in meiner Sammlung ein einzelnes Fach nur für sich verdient hat, dann Everdell.

Everdell von James A. Wilson

Pegasus

Für 1 bis 4 Spieler

Dauer: circa 45 Minuten

Preis: circa 50 Euro