Abomination

Mit Eurogames ist das ja so eine Sache. Das Thema – gerne aus dem Bereich Natur, Weltall oder Fantasy – wirkt zumeist aufgesetzt und eher wie ein Mittel zum Zweck als wie ein bereicherndes Element. „Abomination“ hingegen hat nicht nur ein unverbrauchtes Thema, es setzt dieses auch ganz fantastisch um.

Viktor Frankenstein ist tot. Sein Werk hingegen lebt weiter dank eifriger Nachahmer, von denen wir einen verkörpern. Wir wollen uns eine Gefährtin basteln, und zwar aus Leichenteilen. Die Materialien dafür zu beschaffen ist das erste Kunststück, das wir möglichst effizient erledigen müssen. Und dann muss das Werk im Labor nicht nur zusammen gestückelt, sondern auch zum Leben erweckt werden. Gelingt uns das zuerst oder schaffen wir es, am Ende von maximal acht Runden die meisten Teile mittels Strom zu erwecken, dürfen wir uns als legitimer Nachfolger Frankensteins zum Sieger krönen.

Jede Menge Arbeit wartet in „Abomination“ auf unsere fleißen Helfer. Schließlich gilt es, auf den Spuren von Viktor Frankenstein eine Gefährtin zu erschaffen.

Leichen ausbuddeln, im Krankenhaus plündern oder direkt nach der Hinrichtung den erfreulich frischen Leichnam nach Muskeln, Organen, Blut und Knochen durchsuchen, das ist unser täglich Brot in „Abomination“. Das ist sicher nichts für zart Besaitete, das Thema muss man schon mögen. Lässt man sich darauf ein, erwartet einen ein herrlich schwarzhumoriges Spiel, das immer zu Beginn der Runde zudem mit einem Ereignis oder einer Begegnung aufwartet, die Gegebenheiten verändern oder auch mal nur einen der Spieler betreffen. Begegnungen lösen immer kleine Szenen aus, die im Buch nachgelesen werden und meist Boni wie zum Beispiel den ein oder anderen extra Franc, die Währung im in Paris angesiedelten Abomination, zuschustern.

Um erfolgreich aus Leichenteilen – nun ja – lebende Leichenteile zu erschaffen braucht es aber mehr als nur Gekröse. Das beste Material, das es in vier Gütestufen gibt und das nur mittels Einsatz eines Eisblockes nicht im Lauf der Zeit verdirbt, nutzt nichts, wenn der Forscher dumm wie Brot ist. So heißt es nebenher das eigene Wissen steigern, um aus eher minderwertigen Armen und Beinen im Lauf des Spiels hochwertigere und damit punkteträchtigere Körperteile zu erschaffen. Steigern können wir außerdem unser Prestige, das es uns erlaubt, mächtigere Aktionen zu nutzen oder aber unsere popeligen Assistenten zu erfahrenen Wissenschaftlern auszubilden. Denn wer mehr weiß, der kann schlicht auch mehr. Und dann gibt es da noch die Menschlichkeit, die sich steigern lässt. Für die Leichenfledderei zwar weitestgehend nutzlos, bringt uns das Voranschreiten auf dieser Leiste neben Prestige jede Menge Siegpunkte.

Wir sammeln Materialien wie Muskeln (braun), Organe (lila) und Knochen (weiß). Um ein Körperteil zu erschaffen, fehlt uns allerdings noch Blut.

Das Spiel gliedert sich pro Runde in drei Phasen. Zum einen die Ereignisphase, dann die Stadtphase, in der die Assistenten oder Wissenschaftler platziert werden und zuletzt die Laborphase. In der Stadtphase gibt es eine Vielzahl von Aktionsfeldern, die – einmal belegt – für die anderen gesperrt sind. Es sei denn, man nutzt die Aktion „verscheuchen“. Neben den verschiedenen Möglichkeiten, Leichen zu erhalten, kann man in der Akademie forschen und sein Prestige und Wissen steigern. In der Kirche geht es darum, Menschlichkeit zu erlangen und den anderen womöglich mittels Aktionskarten in die böse Suppe zu spucken. Im Hospital kann man sich auch wohltätig engagieren und am Hafen warten mehr oder weniger finstere Gestalten darauf, uns in unserem finsteren Tun gegen Geld zu unterstützen. Im Schlachthaus können wir Leichenteile von Tieren erwerben. Diese fungieren beim Kreaturenbau als eine Art Joker, geben aber dafür Abzüge in der B-Note, wenn es darum geht, die einzelnen Körperteile am Ende zu bewerten. Am Markt verkaufen wir vergammelte Materialien (und stellen uns dabei eher lieber nicht die Frage, warum jemand so etwas kauft) oder erwerben Eisblöcke oder Leidener Flaschen, mittels derer wir Strom durch die Leichen jagen. Und nicht zuletzt gibt es die Dunkle Gasse, in der wir genau zweimal einen gedungenen Mörder anheuern können, der uns mit ganz besonderen, weil sehr frischen Leichenteilen versorgt. Ein feiner Kniff ist dem Autoren in Sachen Startspieler gelungen. Denn Startspieler sein lohnt sich schon allein wegen der Ereignisse. Aber anders als in anderen Spielen ist der eingesetzte Meeple nicht verschenkt. sondern er lässt sich am Ende noch auf eines der letzten freien Felder setzen. So hat man zwar nicht unbedingt eine starke Aktion zur Verfügung, aber immerhin ist diese nicht verloren. Einsatzmöglichkeiten gibt es außerdem auf dem eigenen Tableau. So lässt sich hier zum Beispiel Blut gewinnen oder aber man kann die benutzten Leidener Flaschen wieder aufladen, um erneut Strom durch die Kreatur zu jagen. Und hier kann man Blitze von den Körperteilen entfernen.

Unser Wissenschaftler betreibt in der Akademie Forschung. Dafür erhält er eine Forschungskarte und einen Schritt auf der Wissensleiste.

Denn diese Blitze zeigen an, wenn der Strom nicht den erwünschten Erfolg hatte, sondern Schaden anrichtet. Denn wer in der Laborphase den Schalter umlegt, der würfelt pro Flasche mit zwei grauen – bei höherem Wissen mit zwei besseren blauen – Würfeln. Zeigen diese ein Auge an, war der Versuch für das ausgewählte Körperteil erfolgreich. Würfeln wir einen Blitz, nimmt es Schaden. Passiert dies zweimal beim gleichen Körperteil, dann wird ein hochwertiger Arm zu einer schlechteren Variante. Liegt dort lediglich ein minderwertiges Körperteil, zerfällt dieses zu Staub und man muss es neu bauen. Denn Körperteile lassen sich mit höherem Wissen in besserer Qualität basteln, diese bringen dann am Ende mehr Punkte. Ganz zum Schluss kann der Kopf hinzugefügt werden. Schafft ein Spieler es, vor Ablauf der acht Runden, der gesamten Kreatur Leben einzuhauchen, dann endet das Spiel.

„Abomination“ ist wirklich faszinierend. Den Mut muss man erstmal haben, aus der düsteren Leichenfledderei ein Spiel auf Kennerlevel zu kreieren. Und hier passt schlicht alles – Das Artwork, die Mechaniken, die mit wohl dosierten Glücks- und Storyelementen angereichert werden und tatsächlich ist dies ein Spiel bei aller Siegpunktejagd, bei dem der Weg das Ziel ist. Nie hat es mich am Ende weniger gejuckt, ob ich nun vorne liege oder nicht. Es reicht schon, sich mit einem der verschiedenen Charaktere mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen auf die Reise zu begeben und das Spiel nicht nur als Punktelieferant, sondern als echtes Erlebnis zu betrachten.

„Abomination“ von Dan Blanchett
Corax Games
Für 2 bis 4 Spieler
Dauer: circa 120 Minuten
Preis: circa 65 Euro